Faust oder offene Hand?

Notwehrtraining mit dem Impact Head

Warum eigentlich gehen Männer seit je mit Fäusten aufeinander los?

Sei es im männlichen Ritualkampf (gemeint sind hier plakative Formen sozialer Gewalt wie Schlägereien auf der Straße, in Kneipen und Bars) oder, seit es sie gibt, in den Kampfkünsten und Kampfsportarten, den so genannten Martial Arts?

Und, vor allem: Ist es ratsam, in einer Notwehrsituation, im Kontext antisozialer Gewalt also, mit der Faust zu schlagen statt mit der offenen Hand?

Tatsächlich gibt es hierfür keinen wirklich guten Grund.

Und viele gute Gründe, die dagegensprechen.

Häufige Antworten auf die erste der oben gestellten Fragen: Man kann härter zuschlagen, man verletzt sich (selbst) nicht so schnell, man kann besser treffen etc.

All das ist eher falsch oder kontextabhängig nur sehr eingeschränkt richtig.

Die richtige Antwort, die viele erstaunt, ist: Männer wollen einander nicht schwer verletzen.

Auch wenn den meisten Männern dieser Grund natürlich nicht bewusst ist.

Die Scheu, einander schwer zu verletzen, ist entwicklungsgeschichtlich bedingt. Hätten Männer bei ihren häufigen Kämpfen einander nicht vor schweren Verletzungen bewahrt, wäre der Planet längst menschenleer.

Auch Tiere, die miteinander kämpfen, verletzen einander in der Regel nicht schwer. Schwer verletzt − mit ausgefahrenen Krallen − und dann getötet wird die Beute. Mit der das jagende Tier wohlgemerkt nicht »kämpft«.

Einige gute Gründe, warum es in einer Notwehrsituation nicht ratsam ist, eine Faust zu machen:

  • Finger sind sehr empfindlich und brechen leicht, wenn man sie als Faust gegen etwas Hartes schlägt.


    (Wohlgemerkt: gegen etwas Hartes. Schädel sind hart und Bäuche sind meistens weich. Probieren Sie´s gleich einmal aus und schlagen Sie mit Ihrer Faust gegen die nächste Wand. Sofern sich Ihnen gerade kein Schädel anbietet. So fest, wie Sie zuschlagen würden, wenn Sie jemand in einer Notwehrsituation schwer zu verletzen versuchte. Oder → lesen Sie alternativ, was Mike Tyson passiert ist, als er sich auf der Straße mit einem anderen Boxer von Weltklasse schlug. Seine teuer bezahlte Erkenntnis: gegen etwas Hartes lieber nicht mit der Faust!)

  • Handgelenke sind sehr empfindlich und brechen leicht, wenn sie nicht stabilisiert sind.


    (Im Boxen geschieht diese Stabilisierung durch Handgelenkbandagen, die fest um das Handgelenk gewickelt werden. Eine Möglichkeit, das Handgelenk ohne Hilfsmittel zu stabilisieren, besteht darin, den Handrücken bis zum Anschlag nach hinten zu beugen. Probieren Sie auch das gleich einmal aus und machen Sie ein paar Liegestütz auf die Fäuste und zum Vergleich einige Liegestütz in herkömmlicher Weise auf die Handflächen gestützt. Passen Sie auf, dass Sie sich bei der ersten Variante nicht das Handgelenk verletzen. Bei der zweiten Variante ist das Handgelenk maximal stablisiert. Damit könnten Sie gefahrlos auch einen einarmigen Handstand machen.)

  • Die Haut am Handrücken der geballten Faust ist straff gespannt und leicht zu verletzen. Die Haut in der Handfläche hingegen ist weich und auch beim Kontakt mit den Zähnen des Täters nicht so leicht verletzlich.
  • (passiver Biss)

  • Der Kontakt der verletzten Hand mit den Keimen der menschlichen Mundflora ist hochgefährlich.

  • (Menschenbisse [auch die passiven beim Schlag auf die Zähne] sind mit einer Infektionsrate von 50% ebenso gefährlich wie Katzenbisse. → UKE Hamburg Keine besonders gute Idee also. Dies gilt umgekehrt übrigens auch für Bisse Ihrerseits. In der Regel gibt es bessere Alternativen.)

  • Beim Schlag der Faust gegen den Schädel schlägt etwas kleines Rundes gegen etwas großes Rundes. Die Gefahr, das Ziel zu verfehlen oder abzurutschen, ist groß. Man könnte sagen: nur etwas für Könner. Oder besser: Die meisten Könner verzichten ganz auf die Faust. Und trainieren, was sich zu trainieren lohnt.

Es gibt noch andere gute Gründe, die für die offene Hand sprechen.

Ich will es bei den hier benannten Gründen belassen.

Warum aber sieht man in den meisten Selbstverteidigungskursen, die auf Notwehrsituationen vorbereiten wollen, die Faust und nicht die offene Hand?

Ich kann mir dies nur so erklären, dass der fundamentale Unterschied zwischen Kampfsport und Kampfkunst auf der einen und Notwehr im Kontext antisozialer Gewalt auf der anderen Seite nicht realisiert wird.

(Die Frage Faust oder offene Hand? ist da nur eine unter anderen Fragen, die falsch beantwortet werden.)

Mit der Folge, dass viele Frauen im guten Glauben Dinge trainieren, die ihnen im Ernstfall nicht helfen werden.

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