Das Spiel der Täter

Im Zuge der → aktuellen Sexismus-Debatte wird immer wieder einmal die Meinung vertreten, dass es unangemessen sei, Frauen zu empfehlen sich zu wehren. Unter anderem, weil man sie dadurch zu Opfern mache, zu guten und zu schlechten.

Für Übergriffe in Abhängigkeitssituationen, in denen Frauen strukturell benachteiligt sind, mag dies gelten.

Für Notwehrsituationen gilt es nicht.

In einer Notwehrsituation, in der es um einen Angriff auf Leib (Gesundheit) und Leben geht und der Täter die Entscheidung getroffen hat, dass allgemeingültige Regeln menschlichen Miteinanders für ihn nicht gelten, ist der Preis, den das Opfer zu zahlen hätte, wenn es sich nicht wehrt, deutlich zu hoch.

Die einzig kluge Entscheidung ist hier die:

Ich stelle sicher, dass der Täter aufhört mit dem, was er tut.

Nicht weil ich ihn davon überzeugt und er sich dazu entschieden hätte (wir alle wissen, dass selbst in sozialen Kontexten viele Menschen vernünftiger Rede kaum zugänglich sind), sondern weil er nicht weitermachen kann.

Sich hierbei in die Entscheidungsfindung des Täters einmischen zu wollen, ist ein Bemühen, das in den sozialen Raum gehört, den der Täter längst verlassen hat.

Gemeinsam mit seinem Opfer befindet er sich jetzt in einer Welt, in dem Reden in der Regel nicht mehr hilft.

In der aktuellen Sexismus-Debatte wird vieles in den einen großen Topf geworfen.

Der allgegenwärtige Sexismus und sexualisierte Gewalt, anzügliches Reden und entwürdigende Kommentare, abfällige Bemerkungen, sexuell herabwürdigende Gesten und Verhaltensweisen, unerwünschte Berührungen und Übergriffe bis hin zu sexueller Nötigung, Vergewaltigung und Tod.

Anzügliche Bemerkungen und herabwürdigende Verhaltensweisen in sozialen Abhängigkeitsverhältnissen sind anders zu werten als eine sexuelle Nötigung oder ein Vergewaltigungsversuch.

Hier nicht zu differenzieren verstellt den Blick auf die notwendigen Lösungen, sowohl im Kontext sozialer als auch in Kontexten antisozialer Gewalt.

Empfiehlt man Frauen, sich in Kontexten antisozialer Gewalt, in denen es um Leib und Leben geht, lieber nicht zu wehren (und ich habe diesen Ratschlag in den letzten Tagen, vor allem von Seiten nachdenklicher Männer, etliche Male gelesen), spielt man das Spiel der Täter.

Der Täter sucht sich keine Gegnerin, um sich mit ihr in fairem Wettkampf zu messen. Er sucht sich ein Opfer, von dem er annimmt, dass es sich nicht wehrt.

Die Hoffnung, dass er aufhöre, wenn und weil man sich als vermeintliches Opfer nicht wehrt, ist trügerisch in beinahe jedem Fall. Die Statistiken sprechen da eine eindeutige Sprache.

Wehrt man sich, ist ein Preis zu zahlen. Wohlgemerkt: Beide Seiten zahlen einen Preis.

Weiß das (vermeintliche) Opfer, was zu tun ist, ist der Preis, den der Täter zu zahlen hat, unter Umständen sehr hoch.

Der Preis, den das Opfer zu zahlen hat, das sich entschieden hat sich nicht zu wehren, ist fast immer zu hoch.

(Ich spreche hier nicht nur von dem unmittelbaren körperlichen Schaden, sondern auch von den langfristigen psychischen Folgen. Untersuchungen zeigen: Opfern von Gewaltverbrechen, die sich wenn auch vergeblich gewehrt haben, gelingt es deutlich besser, die Traumatisierung zu überwinden.)

Im sozialen Kontext lohnt es sich manchmal nicht, den Preis zu zahlen.

In antisozialen Kontexten aber gilt beinahe ausnahmslos:

Tun Sie alles, um sicherzustellen, dass der Täter aufhört mit dem, was er begonnen hat zu tun.

Wehren Sie sich!

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→ Kann mein Kind sich wehren?

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